Flammen über Fernost

Alles nur geträumt?

Die Geschichte der Zündapp KS 350

Als klare Kampfansage an die Japaner wertete die ganze Branche Zündapps Auftritt auf der 1976er IFMA. Der neue Zweizylinder sollte verlorenes Terrain in der Mittelklasse wieder gut machen. Doch es kam alles ganz anders.

Druckguß - Zentralrohrrahmen und Einzylinder-Zweitaktmotor, das Laufgeräusch einer Kettensäge kurz vor dem Infarkt und dazu ein Ziehkeilgetriebe mit kilometerlangen Schaltwegen? Von wegen. Vergessen Sie alles, was Sie bisher über Zündapp-Motorräder der Mittsiebziger zu wissen glaubten, und fangen Sie an, von der KS 350 zu träumen. Die beiden Prototypen von 1976 könnten auch heute noch für schlaflose Nächte sorgen.

Mit kleinen 50-Kubik-Maschinchen und den daraus abgeleiteten KS 75 und KS 100 hatte Zündapp die motorradmüden sechziger Jahre überstanden. Anfang der Siebziger zierte sogar eine 125er das Programm, aber reich wurden die Münchner damit nicht. Das Publikum verlangte nach mehr Leistung und Hubraum. Fast 11.000 Neuzulassungen waren 1973 bei den boomenden 250ern zu verzeichnen, und die Kurve zeigte steil nach oben. Yamaha und Honda schnitten sich die dicksten Stücke aus dem Kuchen, und Zündapp musste in die Röhre gucken.

Wirklich? "Zur anstehenden Entwicklungsbesprechung am 21.2.1973 sehe ich die Prioritäten unseren künftigen Entwicklungsarbeit ... (unter anderem bei einer) 250/350-ccm-Maschine", schrieb Dr. Dieter Neumeyer, Zündapp Hauptgesellschafter, im Februar 1973 in einer vertraulichen Mitteilung an seine Abteilungsleiter. "Diese Maschin enklasse hat steigende Zulassun gszahlen und wird vom Handel dringend gefordert. Der Preis könnte für das Hauptmodell 250 ccm bei DM 3500 liegen. Bei dem 350-ccm-Modell könnte der Preis bei ca. DM 4000 liegen." Der Firmenchef rechnete mit "ca. 2000 Maschinen pro Jahr" - eine vorsichtige Schätzung, die davon ausging, daß die Gesamtzulassungszahlen der 250er und 350er nicht weiter anstiegen und der Marktanteil in etwa wie bei der 125er läge. Für den Export veranschlagte Dr. Neumeyer gegebenenfalls weitere 1000 Maschinen.

Keine Frage also, da bewegte sich etwas in der Anzinger Straße im Münchner Stadtteil Ramersdorf. Im Frühjahr 1974 bekam die Presse Wind von den ehrgeizigen Plänen und zollte Anerkennung. "Gegen die Phalanx marktbeherrschender ausländischer Firmen mit einer eigenen Neukonstruktion anzutreten: Das erfordert unternehmerischen Wagemut, zu dem man Zündapp nur vollen Erfolg wünschen kann", verlautbarte Der Radmarkt. Als ein wenig zu optimistisch erwies sich jedoch die Vermutung, dass ein Prototyp noch im gleichen Jahr auf der Internationalen Fahrrad- und Motorrad-Ausstellung (IFMA) zu sehen sein könnte.
 
Zwar präsentierte Zündapp einen vielbeachteten Einzylinder-Moto-Crosser, der aber nie in Serie gehen sollte, doch von einer neuen Straßenmaschine war weit und breit nichts zu sehen. Allerdings wurde Jahre später bekannt, dass Zündapp sehr wohl einen Prototypen dabei gehabt, ihn aber im Transporter belassen hatte. In der Tat existierte in München eine Designstudie mit hölzerner Motorattrappe. Da Konkurrenzfirmen wie Sachs und Puch aber nichts Entsprechendes zur Schau stellten, durfte auch Zündapps "Geheimwaffe" vorerst im Versteck bleiben.

Das zur IFMA außer dem neuen Fahrgestell vom Typ 527 nichts fertig war, lag übrigens daran, dass die Motorkonstruktion erst im Juni 1974 begonnen hatte. Offenbar ließ ein gewisser Respekt vor der Aufgabe die Zündapp-Leute lange zaudern. So wurde es Dezember, bis die Zeichnungen des neuen Triebwerks überhaupt fertig waren! Erst jetzt erging an den Versuch der Auftrag, der da lautete: Montage des Motors Typ 294 und Einbau in das Fahrgestell 527. Um es gleich zu sagen: Es wurde ein schwieriges Unterfangen.

Dabei versprach die Konzeption der geplanten Maschine Großes: Der Zweizylinder-Zweitakter mit 250 der 350 Kubik konnte mit zahlreichen Finessen, wie zum Beispiel Wasserkühlung und Sachsganggetriebe protzen. Fahrwerksseitig glänzte der Twin mit einem verwindungssteifen Doppelschleifen-Stahlrohrrahmen aus der Hand des damaligen Versuchsleiters und früheren Gelände-Weltmeisters Dieter Kramer.

Als die Versuchsabteilung 1975 den ersten 294er-Motor zusammensetzte, waren jedoch allerhand Änderungen nötig, damit sich der Motor überhaupt komplettieren ließ und in das Fahrgestell passte. Was half die jahrzehntelange Tradition, wenn sich die Konstrukteure von einst längst zur Ruhe gesetzt hatten? Auch die Materialqualität dieses ersten, bei einem Prototypen üblicherweise aus Sandguss bestehenden Motors, verursachte Probleme: Kein Zylinder war auf Anhieb dicht. Zudem beschäftigten gefressene Getriebe und Kurbeltriebe die Zündapp-Mannschaft. Erst ein sogenannter Ölumlaufmtor mit Sichtfenstern und Innenbeleuchtung zeigte bei Prüfstandsläufen die mangelhafte Schmierung bestimmter Zahnräder und Lager auf. Zu diesem Zeitpunkt kamen die konstruktiven Lösungen immer mehr aus der Ecke des Versuchs und nicht mehr aus dem Konstruktionsbüro selbst.

Mittlerweile war es Frühjahr 1976 geworden, und die Zeit drängte. Schließlich sollte auf der IFMA im Herbst ein präsentations- und fahrfertiger Prototyp stehen, daneben sollte noch eine zweite Maschine für den Fahrbetrieb aufgebaut werden. Von einer 250er war nun nicht mehr die Rede, Zündapp konzentrierte sich aus Kostengründen ausschließlich auf die 350er. Ohne direktes Vorgängermodell, an dem man sich hätte orientieren können, entstand ein sehr modernes Motorrad, das es zumindest technisch jederzeit mit der starken japanischen Konkurrenz es hätte aufnehmen können. Herzstück der KS 350 war ein schlitzgesteuerter Zweizylinder-Zweitaktmotor mit horizontal geteiltem Gehäuse - schon das der erste Bruch mit allen Traditionen des Hauses. Die beiden Mahle-Kolben wuchteten ihre Kraft auf eine vierfach gelagerte Kurbelwelle. Mit einem 28er Mikuni-Vergaser ergaben sich 27 PS bei 6800 U/min, die leistungsstärkere Doppelvergaservariante lieferte 40 PS bei 7300 U/min.

Keine nervösen
Super-Sport-Triebwerke

Drehmoment und Komfort standen im Vordergrund

Der offene Motor brachte auf dem Prüfstand bis zu 42 PS!

Im Gegensatz zur KS 50 watercooled von 1972 mit ihrer Thermosyphon-Kühlung wälzte nun eine mechanische Pumpe den Kühlmittelvorrat um. Den Primärantrieb, der auch noch die Mikuni-Ölpumpe in Schwung hielt, übernahmen schrägverzahnte Stirnräder; das Getriebe basierte auf der Schaltbox der Moto-Cross-Studie von 1974. Und das bedeutete: Klauenschaltung mit sechs Gängen, als Schluss mit langen Schaltwegen und fehlenden Anschlüssen! Pflegeleicht gaben sich die gekapselte Hinterradkette und die Getrenntschmierung mit Öltank unter der klappbaren Sitzbank.

Um die Straßenlage kümmerte sich eine verwindungssteife Marzocchi-Telegabel, dreifach verstellbare Koni-Federbeine und 18-Zoll-Niederquerschnittsreifen von Metzeler. Das Cockpit mit Tacho und Drehzahlmesser sowie die Armaturen und die Schutzbleche stammten aus den hauseigenen Teileregalen. Bei den Seitendeckeln und dem 16 Liter fassenden Tank war allerdings pure Handwerkskunst angesagt: Alle Teile wurden als Einzelanfertigung aus Alu gedengelt.

Der Pumpenantrieb der Wasserkühlung bereitete Kopfzerbrechen

Gekapselte Kette - das konntekein Japaner bieten!

Die 40-PS-Maschine war zunächst nicht für die Öffentlichkeit bestimmt und rollte noch auf Drahtspeichenrädern, während die 27-PS-Variante auf der IFMA wie die gesamte 1977er Modellpalette Grimeca-Druckgußräder vorzeigte. Wie bei der Umstellung auf Mikuni-Vergaser spielten finanzielle Gründe eine große Rolle: Die kompletten Gußräder ließen sich für den Preis einer Stahlfelge (ohne Speichen!) produzieren, und der Mikuni-Vergaser kam im Einkauf gegenüber dem Bing deutlich billiger.

Die gedrosselte KS wurde vor der IFMA regelrecht herausgeputzt. Die Verkaufsabteilung setzte ihren Wunsch durch, das IFMA-Modell mit Packtaschenträgern und einem Heckbürzel aufzuwerten. Am 9. Juli 1976, um exakt 10 Uhr, erhielt die Ausstellungsmaschine samt des intern "Entenschwanzerl" getauften Spoilers den Segen der Geschäftsleitung.

Für die IFMA 1976 wurde die 27-PS-Maschine...

...regelrecht herausgeputzt

Die 40-PS-Maschine ging in den Fahrversuch

Nach der IFMA durfte Siegfried Rauch für Das Motorrad als einer der ersten Journalisten mit dem neuen Zündapp-Flaggschiff fahren. Seine Eindrücke "waren ... durchaus positiv: kein nervöses Supersport-Triebwerk..., sondern ein von unten heraus rund hochziehender, eben wirklich komfortabler Motor. Und dass man bei Zündapp Fahrwerke zu bauen versteht - wer wollte es bestreiten."

Alles, alles in Butter mit der KS 350? Mancher Journalist fragte sich, ob bei dem üppigen Drehmoment ein Sechsganggetriebe überhaupt notwendig sei und auch, wieviel Platz der Sozia durch den Heckspoiler verloren ginge. Dem Radmarkt missfiel gar die Getrenntschmierung angesichts der "Einfachheit und Zuverlässigkeit (der) bewährten Mischungsschmierung." Aus heutiger Sicht wissen wir, dass die KS 350 ohne solche Ausstattungsmerkmale nie und nimmer konkurrenzfähig gewesen wäre. Das letzte Wort war ohnehin noch nicht gesprochen: Wiederholt betonten die Münchner, bei der KS 350 handele es sich um einen ausgesprochenen Prototypen. Übrigens stand in Köln auch noch eine Zweizylinderstudie von Hercules, die im Gegensatz zur KS 350 jedoch nicht fahrbereit war.

Als frühesten Liefertermin der KS 350 galt allerorts 1978. In München selbst wiederum war noch gar nichts entschieden. Die Testfahrer bewegten die zweite Maschine fleißig und genossen bei ihren Alpentouren bis dahin ungekannten Zündapp-Fahrspaß. Immerhin rannte die offene KS 350 mehr als 160 km/h...

Armaturen und Instrumente wie bei einer 50er...

...aber ein Abzug wie noch niebei einer Zündapp!

Bei all der Freude galt es aber immer noch, das eine oder andere technische Problem aus dem Weg zu räumen. In einer Aktennotiz vom 31. März 1977 dokumentierte Entwicklungsleiter Karl-Heinz Menzl den Stand der Dinge und wies darauf hin, dass am Wasserpumpenantrieb, dem Gehäuseunterteil und den Klauen der Schalträder immer "noch Arbeiten größeren Umfanges durchzuführen" seien.

Doch es sollte nicht mehr dazu kommen. Obwohl Zündapp 1976 den Umsatz erheblich steigern konnte, bewegte sich der Gewinn in so engen Grenzen, dass die Geschäftsleitung um Dr. Dieter Neumeyer nicht den Mut fand, die KS 350 in Serie gehen zu lassen. Man spricht von rund acht Millionen Mark, die Neumeyer für die Einrichtung der Produktion hätte locker machen müssen. Aus den anvisierten Verkaufszahlen errechnete sich ein Verkaufspreis von über 6000 Mark. Viel zu teuer: Die brandneue Yamaha RD 400, immerhin 42 PS stark, gab´s für weniger als fünf braune Scheine.

Fotoarbeiten für diesen Artikel in OLDTIMER MARKT 4/99. Der hier nur grundierteSpoiler
wurde später retuschiert...

Also keine Chance für die KS 350? Leider nicht. "Anläßlich einer Besprechung bei GL (Geschäftleitung, Anmerkung d. Autors) am 18.4.77 wurde mitgeteilt, dass der Typ 527 nicht in Produktion genommen wird und sämtliche Arbeiten an diesem Projekt einzustellen sind", so der Abschlußbericht der Versuchsabteilung (VA). "VA wurde angewiesen, ein Fahrzeug obigen Typs in sehr gutem Zustand in das Museum einzugliedern. Dies ist geschehen. ... Von VA wird hiermit der Versuchsauftrag 77070 als erledigt angesehen." Da stand sie nun, die Metall gewordene Kampfansage an die starken Japaner, und keiner wollte sie bauen. Nach drei Jahren harter Entwicklungsarbeit sollte zu Ende sein, was noch gar nicht richtig begonnen hatte...

Epilog

Die IFMA-Maschine mit 27 PS wurde am 23. Mai 1977 dem Werksmuseum zugeführt - einer Sammlung verschiedenster Zündapp-Fahrzeuge, die der Öffentlichkeit jedoch nicht zugänglich war. Die zweite KS 350 mit 40 PS wurde innerhalb der Versuchsabteilung in Verwahrung genommen. Als nach der Firmenpleite 1984 die Museumsmaschinen (und damit auch die kleine 350er) vom Berliner Museum für Technik und Verkehr übernommen wurden, rettete Zündapp-Versuchsleiter Dieter Kramer die große vor der Verschrottung. Auch der nie gezeigte und nicht fahrfertige 74er-Prototyp mit Motor-Attrappe tauchte zu dieser Zeit wieder auf und geriet in Sammlerhände. Während die Berliner Maschine fortan auf Wanderausstellungen durch ganz Europa zog, ging die nahezu unbekannte 40-PS-350er erst 1998 in den Besitz eines oberbayerischen Zündapp-Freundes über. In nächster Zeit soll sie optisch in den Zustand der IFMA-Ausstellungsmaschine gebracht werden. Und damit die Arbeiten auch wirklich nahtlos daran anschließen, wo man 1977 aufgehört hat, wurden zum Beispiel die erforderlichen Blecharbeiten für den zunächst fehlenden Heckspoiler von genau jenem Spengler durchgeführt, der schon in den siebziger Jahren im Zündapp-Versuch den Tank und die Seitendeckel in Einzelanfertigung erstellte!

Text: Hans Tilp
Fotos: Hans Tilp, Peter Eckardt

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